Die folgende Story habe ich irgendwann einmal geschrieben; ursprünglich für die Schülerzeitung. Da sie aber irgendwie mehr Interpretation als Handlung hat und das Ende eher heftig ist, wurde sie nicht veröffentlicht. Ich habe sie eben ausgegraben und finde sie eigentlich ganz gut, auch wenn sie ziemlich einfach geschrieben ist. Wie ich allerdings auf den Anfang gekommen bin, weiß ich nicht…
Es ist alles so still. Normalerweise stürmen um diese Zeit alle Schüler zu ihrem Unterricht in die Klassen. Doch heute bin ich die Einzige und in den Klassen ist es ruhig. Habe ich etwas verpasst? Gleich werde ich es erfahren, denn jetzt werde ich die Tür öffnen, vor der ich schon seit fünf Minuten stehe. Die Türklinke ist anders als sonst. Eiskalt. Ich drücke sie runter und öffne die Tür. Das erste was ich sehe, ist ein leeres Klassenzimmer. Das zweite ein Junge, der auf einem Tisch sitzt und mich mit großen Augen ansieht. Starren trifft es wohl eher und ich stehe wie angewurzelt da. „Setz dich.“, meint er und ich setze mich auf den Tisch neben ihm. Ich kenne ihn gar nicht, doch irgendwie ist es, als wären wir uns schon mal begegnet. Er sieht merkwürdig aus mit seinen langen blonden Haaren und grünen Augen. „Wo sind alle?“, frage ich. „Sportprüfung am Sportplatz.“ „Komisch. Ich weiß gar nichts von einer Sportprüfung…“ Bevor ich meinen Satz zu Ende sprechen kann, wird alles um mich herum dunkel.
„Sie kommt zu sich!“ „Was ist passiert?“ Ich öffne die Augen und blicke ich in die Augen meiner Sportlehrerin und in die der anderen. „Du bist vom Schwebebalken heruntergeflogen.“ Ich richte mich auf und ertappe mich dabei wie ich nach dem seltsamen Jungen Ausschau halte. Doch natürlich sehe ich nur die Foltergeräte der Turnhalle und besorgte Augenpaare, die mich anstarren und versuchen besorgt auszusehen. „Wie geht es dir?“ „Gut, abgesehen von Kopfschmerzen“ Ich versuche zu lächeln. Das war wohl nur ein Traum, doch er war so real als wäre er Wirklichkeit gewesen. Eine Mitschülerin kommt auf mich zu und streckt mir die Hand aus. „Danke.“ sage ich während ich aufstehe. „Bitte.“ antwortet sie mir mit einem freundlichen Lächeln. „Ist wirklich alles in Ordnung mit Dir?“ Abgesehen davon, dass ich Sport habe, ja. Das würde ich aber nie laut sagen. „Ja“.
Immer wieder muss ich an diesen Traum denken, doch je mehr ich mich anstrenge auf die Einzelheiten zu achten, desto schwerer fällt es mir mich daran zu erinnern. Vielleicht sollte ich mich lieber auf etwas anderes konzentrieren. Zum Beispiel auf Physik. Der Lehrer redet und ich schreibe mit. Aber verstehen tue ich es trotzdem nicht. „Ich sagte ihr sollt zuhören und nicht mitschreiben!“ Das Mädchen, dass mir im Sportunterricht geholfen hat wird gerade angeschrieen. Doch interessieren tut es niemanden. Jetzt kommt er auf mich zu „Und noch eine die mitschreibt. Komisch…ihr Mädchen seid alle so schweigsam im Unterricht und streckt nie, aber schreiben tut ihr was das Zeug hält. Nimmt euch mal ein Beispiel an den Jungs. Die schreiben nie freiwillig…“ Er reißt mir den Block aus der Hand und wirft ihn auf den Boden. „Nachsitzen…für euch beide. Heute fällt euer Mittagessen aus.“ Ich weiß nicht was ich sagen soll, denn es würde nichts ausrichten.. Das einzige, was ich machen kann ist aufstehen, meinen Block aufheben und die herausgefallenen Blätter einsammeln. Es läutet. Alle stürmen aus dem Physiksaal. Nur ich werde zurückgehalten. „Wohin willst du denn? Die letzte Stunde fällt doch aus und das heißt: Du bleibst hier!“ Irgendwann mache ich das nicht mehr mit…
Das andere Mädchen und ich sitzen im Physikraum und schreiben einen Text ab. Er handelt von Luis Pasteur und was er tolles entdeckt hat. Der Lehrer hat uns alleine gelassen. Er will ja sein Mittagessen essen. „Warum lassen wir uns unterkriegen?“, diese Frage kam so plötzlich von ihr, dass mir der Stift aus der Hand fiel. „Ich weiß es nicht, aber was sollen wir tun? Wir werden immer von ihm runtergemacht. Zum Glück haben wir ihn nur in diesem einen Fach…“ „Das muss sich ändern“ Ich sehe wie sie langsam ihr Zeug einpackt. „Was machst du?“ „Ich hau ab. Kommst du mit oder willst du weiterhin der Wischmopp der ganzen Schule sein?“ Das klingt überzeugend, doch was wird passieren wenn sie uns erwischen bevor wir überhaupt das Schulgelände verlassen konnten? „Ja, ich komme mit. Auch wenn mir nicht ganz wohl dabei ist…“
Normalerweise war ich eine gute Schülerin. Eine, die immer brav folgte, sich nie beschwerte, selten die Hausaufgaben vergaß und im Verhalten immer eine 1 hatte. Man hätte wohl nie erwartet, dass ich so etwas machen würde. Aber irgendwann hat man genug davon alles zu tun was man gesagt bekommt. Von Lehrern, Mitschülern, Freunden und den Eltern. Doch ich habe Angst „nein“ zu sagen. Ich will den anderen alles recht machen, damit sie keinen Grund haben mich nicht zu mögen. Toller Plan. Nur leider funktioniert das nicht bei unserem Physiklehrer.
„Du musst nicht mitkommen wenn du nicht willst.“ Eins muss ihr lassen, ihre Taktik ist gut. Sollte ich etwa sagen, dass ich es mir anders überlegt habe und doch nicht mit will? „Ich will schon mit, aber wo sollen wir hin?“ „Sag ich dir wenn wir hier weg sind.“ Wir schleichen uns die große Treppe runter, sehen ob jemand um die Ecke kommt und rennen los. 500 m von der Schule entfernt bleiben wir stehen und setzen uns auf eine Bank. „Also, wohin sollen wir?“ „Wir gehen in die Bücherei. Dort ist ein Buch indem steht was man in solchen Situationen macht. Wir klauen es.“ „Ein Buch klauen? Das hätte ich dir nie zugetraut…ich dachte immer du wärst nett und anständig…“ „Ach, das hast du gedacht? Tja, außen lieb und süß, doch innen bin ich gar nicht so. Du kannst ja zurück gehen und mich verpetzen.“ Mit einem Satz steht sie auf und geht, lässt mich einfach sitzen.
Zicke, denke ich und stehe ebenfalls auf und sehe mich um. Mittagszeit, alle essen. Ich merke erst jetzt, dass ich nicht in der Pause und auch nichts zum Frühstück hatte. Ich habe Hunger. Ohne darüber nachzudenken was ich mache, laufe ich Richtung Schule. Eigentlich hatte ich es doch ganz gut, also warum lasse ich mich immer wieder beeinflussen? Und dann noch von den Falschen. Ich hätte dem Direktor sagen können wie schrecklich der Lehrer ist, andererseits bin ich auch selbst daran schuld, weil ich mitgeschrieben habe. Nichts als Ärger. Warum kann ich nicht sagen was ich denke? Manchmal weiß ich nicht was ich machen soll, denn ich will so gerne das sagen was mich bedrückt und auch dazu stehen.
Ich sah die Ampel nicht, die rot war. Ich sah nicht das silberne Auto, dass mit rasender Geschwindigkeit näher kam. Doch ich sah dem Tod ins Gesicht und plötzlich wusste ich, dass ich etwas verpasst habe. Immer wollte ich alles meinen Mitmenschen Recht machen und habe dabei vergessen, dass ich für mich selbst und nicht für die anderen lebe.