Sie war gerade dabei ihn zu vergessen. Ihre „große Liebe“. Es konnte ja schließlich nicht so weitergehen. Er wollte sie nicht, ja fand sie nicht einmal attraktiv. Und das brach ihr das Herz. Also ließ sie sich auf jemanden anderen ein. Er war 36 und arbeitete hier und da mal etwas. Aber einen festen Job hatte er nicht. Komischerweise hatte er Kohle. Aber er war auch noch so viel anderes, wie zum Beispiel aufrichtig verliebt in sie, was sie noch nie erlebt hatte.
Sie erschrak, als er ihr seine Wohnung zeigte, denn es war die Ex-Wohnung ihrer „großen Liebe“. Sie verband ihn immer noch damit, obwohl er längst nicht mehr dort wohnte.
Der Mann, sein Name war übrigens Mark Kramer, brachte es allerdings irgendwie fertig sie durch seine Liebe zu fesseln. Und sie liebte ihn auch. Aber es war nie dasselbe wie die Liebe zu dem Einen. Sie wäre früher sogar bereit gewesen, dem Einen ihr erstes Mal zu schenken. Doch der 47-jährige hatte sie damals abgelehnt. Da war sie 19, was sie jetzt immer noch ist…
Sie lagen im Bett. In Mark’s Bett. Und es war klar, dass die unvermeidliche Frage nach dem Sex nicht länger aufgeschoben werden konnte.
„Ich…weiß nicht, ob ich das kann. Du bist der erste.“ sagte sie auf einmal in die ergreifende Stille hinein, während sie sich auf die Seite gedreht und von ihm abgewandt hatte.
Er hörte auf sanft über sie zu streicheln und meinte, dass das kein Problem sei. Und sie war sich sicher, dass er es ernst meinte.
Doch sie drehte sich zu ihm um und ließ trotzdem nicht von dem Thema, für das sie sich die Schuld gab, los: „Nein…es liegt an mir. Ich würde mich nicht gut dabei fühlen und das ist…vermutlich falsch gedacht. Aber ich würde mir so benutzt dabei vorkommen.“ Dann drehte sie sich auf den Rücken und starrte auf die Decke über ihnen. Das Gespräch war ihr unangenehm. Sehr sogar. Aber sie wusste, dass es geführt werden musste. Seinetwegen.
Er drehte sich nun auch auf den Rücken und starrte ebenfalls nach oben. Nach einer Millisekunde sagte er: „Das musst du nicht denken…“ Dann stand sie auf und ging ins Bad.
Sie dachte an gestern, als sie unterwegs gewesen war und dann auf einmal um kurz vor halb elf eine SMS von ihm kam. Dass er in seiner großen Wohnung nicht schlafen könne und sie ihm fehlen würde. Sie dachte nach und zahlte. Der letzte Zug zu ihm würde bald abfahren. Und angetrunken wie sie war, verfolgte sie einen Plan. Sie würde heute einfach bei ihm übernachten.
Also verabschiedete sie sich von ihren Freunden, die sie fragten, wohin sie wolle. Sie meinte mit dem Zug nach S. und drehte sich zum Ausgang. Doch da hielt sie der beste Freund ihrer eigentlich „großen Liebe“ auf. Er deutete auf seinen Kumpel Jo und meinte, dass Jo und er es ganz schlecht finden würden, dass sie ihn so ignoriert. Dat tat sie nämlich, musste sie tun. Denn sonst würde er sie wieder verarschen und ihr Hoffnungen machen. Und das ertrug sie einfach nicht mehr. Besonders, wenn er sie dann auf einmal fertig machte und sie als unattraktiv bezeichnete, wenn sie ihm entgegenkam.
Sie sah kurz zu Jo, der ihr ein leidendes Gesicht vorspielte, dann wendete sie sich wieder an den Kumpel: „Das hätte sich dein Freund vorher überlegen sollen.“ Dann sah sie auf die Uhr. „Ich muss zum Zug.“ „Wohin?“ fragte der Kumpel. Sie ballte ihre Faust, schlug damit ein paar Mal auf die Handfläche der anderen Hand und grinste. Dann verließ sie die Kneipe. Sie wollte sich nicht ansehen, wie die beiden darauf reagierten.
Angetrunken am Bahnhof. Die Vorstellung reizte sie irgendwie. Der Zug kam auch gleich und brachte sie zum Bahnhof von S. Von dort aus lief sie weiter zu der Penthousewohnung, von der aus man den schönsten Blick über den Marktplatz und die Häuser hatte. An Silvester war sie auf dem Balkon alleine gestanden. Sie kam sich zumindest alleine vor. Aber daran durfte sie jetzt nicht denken. Doch es fiel ihr schwer, da Jo dort gewohnt hatte. Da sie immer noch vieles an ihn erinnerte. Vielleicht war und ist sie einfach nur dumm. Dumm, dass sie an sowas noch denkt.
Die untere Tür war offen und sie lief die Stufen nach oben. Sie hatte keine Angst vor Aufzügen, aber vor diesem hier hatte sie es. Der blieb nämlich in unregelmäßigen Abständen stehen wie es ihm passte.
Oben angekommen klingelte sie. Mark, ihr Freund, machte ihr auf. Sie meinte „Hi“ und umarmte ihn. Er war überrascht. „Du warst unterwegs, stimmts?“ Sie nickte, lächelte. Und dann fragte sie nach der Dusche. Denn nach Rauch und Alkohol wollte sie nicht riechen.
Als sie die Dusche verließ, erschrak sie, denn Mark saß auf dem Stuhl und reichte ihr das Handtuch. „Du beobachtest mich?!“
„Ja…du bist wunderschön!“
Sie schmunzelte. So etwas kann auch nur ein Mann von sich geben. Aber sie versuchte sich mittlerweile an den Gedanken gewöhnen, dass sich die ganze Welt um Sex dreht. Sie hätte nicht mal was dagegen, wenn er sich in ihrer Abwesenheit einen runterholen würde. Ist ja normal. Es bedeutete nur, dass sie es einfach nicht drauf hatte. Natürlich suchte sie den Fehler immer bei sich. Was auch ein Fehler war.
Dumm und unerfahren legte sie sich ins Bett neben ihn und kuschelte sich an ihn. Es passierte nichts.
Am nächsten Morgen dann dieses Gespräch. Und jetzt stand sie wieder in dem Bad. Angezogen. Ein merkwürdiges Gefühl.
Sie klopfte an die Schlafzimmertür, meinte, dass das Bad nun frei sei und schlich in die Küche um sich was kleines Zum Frühstück zu machen. Sie hörte wie er ins Bad ging, die Tür abschloss. Dann lief sie auf leisen Sohlen zur Tür und lauschte…
Mark fragte sich, was mit ihm los sei. Nachdem er diesem Mädchen begegnet war, bekam er einfach keinen mehr hoch. Und wenn er an eine andere Frau dachte hatte er ein schlechtes Gewissen und bekam das erst recht nicht hin. Weil ihm dieses Mädchen nicht mehr aus dem Kopf ging. Playboy, Maxim, FHM,…er hatte alles versucht. Er stellte sie sich vor, schloss die Augen. Dachte an ihren nassen Körper unter der Dusche. Die kurzen Haare, die sie sich langsam aus dem Gesicht strich. Wie sie sich bewegte…aber es klappte verdammt nochmal nicht! Er stierte auf sein Handy und wählte die Nummern aller Nummern: Hans. Sein Kumpel, von Beruf Urologe. Doch seine Frau Susanne ging dran. Sie war Frauenärztin. Also fragte er sie zuerst nach Rat. Sie wusste nicht weiter und gab ihm Hans:
„Ah, Herr Kramer, wie kann ich Ihnen denn heute helfen?“ Eine schlüpfrig klingende Stimme dröhnte durch das Handy.
„Lass die Witze Hans und ruf lieber den internationalen Notstand aus!“
„Was?“
„Ich hab dir doch von ihr erzählt?“
„Hast du.“
„Und…es ist so…sie ist…na ja…ich bekomme keinen mehr hoch.“
„Oh.“
„Oh!!“
„Und jetzt?“
„Frag ich dich um Rat. Ich hab schon alle Videos durch. Und Hefte…und nicht mal da klappt es…“
Ihr klappte der Mund auf. Sie vergaß ihr Brötchen, dass sie immer noch in der Hand hielt.
„Nun ja…warste schon im Puff?“
„Im Puff?!“ Es entfuhr ihm lauter, als er vorhatte.
„Klar…kannst ja mal testen, ob es bei denen klappt…“ Er sah förmlich das Grinsen auf der anderen Seite der Leitung. „Bist du dir sicher?“
„Ach Mark…dann geh zum Sexpsychologen. Ich kann dir jedenfalls nicht weiterhelfen. Aber vielleicht kann das ja die flotte Helga.“
„Wer ist Helga?!?“
„Die Puffmutter Nummer eins!“
„Und wo finde ich die?“
Er nannte ihm eine Adresse und als er die wiederholte, um sicherzugehen, wusste er nicht, dass vor der Tür jemand mitnotierte und verzweifelt auf einen kleinen Zettel starrte.
Das Gespräch war beendet, sie steckte sich den Zettel in die Hosentasche, schlich wieder in die Küche und aß friedlich ihr Brötchen. Als er sich angezogen neben sie setzte, hatte sie den Plan ihres Lebens.
Den kommenden Tag beobachtete sie ihn. Seine Wohnung. Die Umgebung. Sie fühle sich wie in der Zeit als sie sich kennen lernten. Wo er noch ihr Stalker war. Er verließ die Wohnung, das Spiel begann.
„Hallo Helga.“
Sie betrat den Puff und sah eine nicht ganz so zierliche Frau in pink-rotem Outfit mit Dauerwelle und Absätzen, die kein Ende nahmen.
Helga stutze, sah auf ein feenartiges, zierliches Mädchen mit SM-Stiefeln in Schwarzen Ledermantel. „Der Lesben-Puff ist um die Ecke.“ meinte Helga mit rauer Stimme und zog an ihrer Vogue.
Sie beugte sich über die Theke, sah Helga in die Augen und meinte: „Willst du dir meine Story anhören?“ Und sie erzählte Helga von Mark und seinem Problemchen. Sie bekam Zimmer 66, ein Outfit, eine neue Haarfarbe und eine Maske. In Sekunden wie es schien.
„Hallo.“ sagte Mark, als er den Puff betrat. Er war schon ein paar Mal in einem Puff gewesen, aber die waren recht heruntergekommen gewesen. Er bestaunte daher das Ambiente, bis sich die Frau hinter der Theke räusperte. Mark war verunsichert, ging auf sie zu und fragte nach einer Frau. Helga meinte nur: „Sind alle im Urlaub oder unterwegs oder besetzt…aber Zimmer 66 ist noch frei.“
Sie saß da und rauchte die Vogue, die sie von Helga bekommen hatte. Sie amüsierte sich. Besonders, weil das Licht so schwach war. Und sie dachte nach, wie das alles wohl enden würde…und ob sie es diesmal schaffen würde ihn mit ihrem Körper zu fesseln.
Plötzlich klopfte es an der Tür und sie ging auf… Mark betrat den Raum und setzte sich aufs Bett, sah sie an. Sie sagte nichts, drückte nur ihre Vogue aus und begann ihn zu massieren. Sie versuchte ihn erst mal mit ihren Händen zu erregen. Dann brach sie langsam ab, drückte ihn sanft aufs Bett begann ihn zu küssen. Es war, als würde sie sich aus der Vogelperspektive dabei zusehen. Es war herrlich, doch er brach alles ab, meinte, er könnte das nicht seiner Freundin antun, ließ ihr 50 € für die kleine Darbietung da und verschwand. Sie fragte sich, ob sie so eine gute Schauspielerin war und irgendwie war sie auch enttäuscht, dass Mark sie nicht erkannt hatte. Ein totaler Reinfall. Sie nahm die Maske ab und sah Helga an, die kopfschüttelnd durch die Tür kam und diese hinter sich schloss. Helga gab ihr eine CD. „Hier…aber du bist gar nicht mal so schlecht!“ Sie starte auf die CD und dann sah sie zu Helga. „Du filmst das?!“ „Ja, aber pssst. Das gebe ich nur dir! Die anderen wissen das nicht…“
Ein Herr fragte bei Helgas Vertretung nach einem freien Zimmer und sie sah am Kontrolllämpchen, dass das Zimmer Nummer 66 frei war. Es klopfte.
Sie setzte sich blitzschnell die Maske auf und Helga sah sie eindringlich an und meinte dann immer noch den Blick auf die anscheinend großartige Nummer 66 geheftet: „Herein…“
Und herein kam ein großer Mann. Das Mädchen sah ihn flüchtig an und zum Glück hatte sie die Maske, die ihre Augen verschleierten, denn sonst hätte man ihren schockierten Gesichtsausdruck bemerkt. Helga begann zu strahlen: „Aaaahhh, mein Jo! Auch mal wieder am durch-die-Betten hüpfen?!“ Jo sah das verdammt junge Mädl an, sie sah wiederum Helga an. Helga sah abwechselnd zwischen den beiden hin und her. „Kann man jetzt auch Sex mit dir haben?!“ fragte Jo die Puffmutter. Sie setzte ihren arrogantesten Blick auf, richte sich auf, was sie noch größer machte und strich sich selbstsicher eine Strähne aus dem Gesicht. „Vergiss es! Aber…“ Sie sah das junge Mädchen an, „Julia ist sicherlich bereit dazu.“ Sie grinste. „Julia“ dachte nur ‚Fuck‘, spielte ihre Rolle aber weiter. Helga meinte noch zu Jo. „Nur…sie ist nicht sehr gesprächig. Du kannst also nicht während dem Sex mit ihr diskutieren. Außerdem ist das ihr erster Tag hier und sie lernt erst…“ Jo sah das Mädchen, das den Namen Julia von Helga bekam, an. Die Puffmutter verschwand und zwei Körper fanden zueinander.
Sie rauchten beide. Lagen nebeneinander. Dösten. Da sagte Jo auf einmal: „Weißt du…du erinnerst mich an jemanden…“ Sie rauchte ruhig weiter, schwieg. „An ein Mädchen…“ Sie wurde leicht nervös, schweig aber immer noch, rauchte. „Ich wünschte, ich könnte das auch mit ihr erleben….“ Dann rauchte sie ihren letzten Zug, beugte sich über ihn zum Aschenbecher, küsste ihn, obwohl ihre Zeit normalerweise längst um war. Dann richtete sie sich auf und hätte sie nicht die Maske auf, würden sich die Augen der beiden ineinander bohren. Also nahm sie die Maske ab mit den Worten „Vielleicht hast du das ja…“
Sehr unterhaltsam! =)