Ausgeschlossen

Am Nachmittag war ich wieder mal bei meiner Friseurin gewesen und ließ mir meine Haare schneiden. Ich fühlte mich sehr wohl, mit meinem neuen Pony. Nur sah ich jetzt etwas meiner Tante väterlicherseits ähnlich. Also eine „Lolita-Frisur“. Meine Mum zog mich natürlich damit auf, da sie nich mit ihr klarkommt.

Ich machte mich am Abend alleine auf dem Weg ins Nest, denn mein Dad war bei Sabrina zur Geburtstagsfeier eingeladen. Als ich fragte, ob Jo auch kommen würde, sagte er, er wisse das nicht und es klang so, als würde er eher über einen Killer sprechen, als über einen seiner besten Freunde. Also ging ich ins Nest, wo Jo natürlich nicht war. Er war bestimmt auch bei Sabrina eingeladen, nur U. wollte wohl nicht, dass ich mir darüber Gedanken machte.
Mir blieb also nur die Stille Hoffnung, sie alle würden nach der Feier noch ins Nest kommen. Denn eigentlich hatte ich mir vorgenommen, dass an diesem Tag etwas passieren würde. Was, das sollte sich noch ergeben. Jedenfalls hatte ich immer noch den Zettel, den meine beste Freundin letzte Woche geschrieben hatte und auf dem meine Handynummer für Jo draufstand. Und die wollte ich ihm an diesem Tag geben, da ich letztes Mal nicht dazu kam.

Aber es waren andere Bekannte im Nest. Zum Beispiel E., den ich als erstes grüßte und Frank, der mir von der anderen Seite des Raumes zuwinkte. Ich ging zu ihm und begrüßte ihn richtig mit Umarmung und Küsschen-links-Küsschen-rechts und bestellte ein Schorle. Neben uns saßen noch zwei Frauen. Eine der beiden Frauen kannte ich von früher, da sie einmal eine Kneipe besessen hatte, in der ich als Kind öfters mit meinem Dad war.
Frank und ich unterhielten uns über seinen Job, meine Zukunft und was uns noch alles einfiel. Er bat mir wieder eine Zigarette an und ich lehnte nicht ab. Nebenher lauschte ich bei den Leuten neben uns und bekam mit, dass ihnen ein Nachname nicht einfiel. Sie redeten von jemandem, den ich auch gut kannte, weil ich mit seiner Tochter befreundet gewesen war. Ich erkannte sofort am Vornamen und an der Arbeitsstelle, dass er gemeint war, beschloss aber erst später etwas dazu zu sagen, weil sie bereits über etwas anderes redeten.
Als ich meine Zigarette in dem Aschenbecher ausdrückte, der zwischen den beiden Frauen an der Theke stand, sagte ich, dass ich den Mann über den sie vorhin gesprochen haben auch kenne und nannte ihnen den Nachnamen. Die Beiden waren ganz überrascht, woher ich den denn kennen würde und ich erzählte ihnen, dass ich seine Tochter kenne und daher auch ihn. Frank war genauso überrascht und meinte: „Also du hast auch überall deine Ohren…und kennst jeden.“ Und ich sagte mit gespielter Belanglosigkeit: „Och…alle kenne ich auch nicht…“
Frank schenkte mir eine rote Rose und meinte, die Frisur würde mir gut stehen und ich sehe heute sehr gut aus. Ich bedankte mich, weil mir diese Worte, ausgesprochen von einem sehr guten Freund, meinem „großen Bruder“, gut taten.
Nachdem er sein Schorle ausgetrunken hatte, meinte er, er gehe kurz nach Hause um sich umzuziehen. Er hatte immer noch seine Arbeitskleidung an. Aber er meinte, er würde bald wieder kommen, da meine Friseurin auch noch kommen wollte.

Ich nahm mein Glas und beschloss mich solange zu E. zu setzten, der sich mit der Sägger-Frau unterhielt, die wie immer ohne Punkt und Komma redete. Er war ganz entzückt mich zu sehen und meinte, obwohl er nicht hetero ist, dass er mich lieben würde. Aber ich glaube, er war ziemlich betrunken. Denn er fing wieder an von Sex und sexsüchtigen Männern zu reden. Die Säger-Frau, die diese Gespräche gar nicht leiden konnte, meinte nur: „Ahhh! E., du redest KOMPLETT an der weiblichen Seele vorbei!!!“ Und E. tat beleidigt und strich sich eingebildet seine Haare zurück. Nur dumm, dass ich das auch konnte. Also tuntenten wir uns eine Weile so an, bis die Frau vor lachen nicht mehr konnte und E. auch anfing zu lachen, genauso wie ich.
Dann meinte er: „Lass uns ein Spiel spielen. Wir lernen uns neu kennen…“ Ich sah die Frau an, die zum ersten Mal schwieg und meinte schließlich etwas unsicher: „Ja…“ Denn ich wusste nicht, was er vorhatte. Er sagte anschließend: „Wer sind denn Sie?!“ und drehte sich etwas von mir weg. Die Sägger-Frau meinte daraufhin, dass er ihr vorhin etwas erzählt habe. Und zwar, dass sein Nachname nichts Besonderes sei. Es steckt nichts dahinter und jemand habe ihn mal diese Frage gestellt und das hat er seither nie vergessen. Ich sah E. an und mir wurde klar, dass er mir damit etwas sagen wollte. Ich besitze nämlich einen Nachnamen, der anscheinend irgendeinen wert haben soll, da ich die Tochter vom U. bin und dieser überall gerne gesehen wird. Und ich regte mich innerlich auf, dass es in einer Kneipe sogar Schichtverhältnisse gab. Ich erinnerte mich daran, dass mir Frank auch einmal etwas Vergleichbares gesagt hatte.
Die Sägger-Frau, die sich von Thema „U.“ nie losreißen kann, meinte wie immer, dass mein Dad ja so unglaublich toll sei. Das sagte sie nicht nur einmal, sondern mehrmals, nur mit anderem Satzbau.. Und E., der sich wieder beruhigt hatte, fügte hinzu: „Der U.? Den lieb ich auch ganz brutal.“ Mein Lieblingsthema war das nicht. Zum Glück kam dann Adonis in das Nest und sorgte für Ablenkung. Adonis der Schwarm aller Frauen, der…ach, da fehlen selbst mir die Worte. Ich gebe zu, er sieht gut aus. E. meinte einmal, als wir auf das Thema Adonis kamen, er sei schon ewig hinter ihm her. Und er umarmte ihn diesmal dementsprechend. Ich sah still und belustigt zu, wie Adonis‘ coole Fassade abbröckelte und er einfach nur wie angewurzelt dastand, langsam nervös wurde und dann hektisch die Kneipe mit den Worten „Hier ist mir zu viel los…“ verließ. Ich stupste E. an und sagte lachend: „Oh man, jetzt hast du ihn verjagt…“
Auf einmal legte mir von hinten jemand ganz sanft seine Hände auf die Schultern. Es war meine Friseurin, die mit ihrem Freund unterwegs war. Ich begrüßte beide und sie meinte zu allen, was ich denn nicht für eine tolle Frisur hätte. Und alle stimmten ihr zu. E. sagte: „Du siehst einfach nur bezaubernd aus!“
Wir redeten noch über alles Mögliche. Zum Beispiel, welchen Spruch ich von Männern inakzeptabel finde: „Ich bekomme die Krise, wenn mir jemand sagt, meine Ohren seien ja so süß.“ E. stauchte mich daraufhin zusammen von wegen, ich müsse zu meinen Ohren stehen. Und als ich ihm einfach nicht verständlich machen konnte, dass ich nichts gegen meine Ohren habe, solange sie nicht thematisiert werden, schrie die Sägger-Frau auf einmal entnervt: „Ahhhh E.!! Sie kann es nur nicht leiden, wenn Männer sich in ihre Ohren verlieben!!“ E. meinte daraufhin, ich sei total dramatisch und er wolle mal mit mir in die Oper gehen, da ich mich da als „Künstlerin“ wohl fühlen würde.
Nach längeren sinnlosen Diskussionen, und nachdem wir uns wieder etwas angetuntet und dabei halbtotgelacht hatten, machte er sich auf den Heimweg. Dafür kam der Maserati-Fahrer und gesellte sich zu uns. Und die Frau fing dann wieder an ohne Punkt und Komma zu reden, sodass ich mich irgendwann einfach ausklinkte und flehentlich in die Richtung des Maserati-Fahrers blickte, der dank der lauten Musik kein Wort von ihr verstand. Dafür brüllte sie mir ins Ohr und ich versuchte wirklich alles um vom Thema abzulenken, was unhöflich, aber bedauerlicherweise notwendig war. Also holte ich meine Kamera raus und meinte: „FOTOS!!!“
Also machten wir einige Fotos und ich versprach der Frau, dass wir mal eine Foto-Session machen sollten, wo ich ihr ein paar Posen zeige und alles drum und dran, weil sie meinte, ich sei ja so fotogen. Ich sagte ihr nur: „So fotogen bin ich auch wieder nicht. Aber man muss es wollen…“ Das gab ihr Mut und sie war glücklich, redete aber weiter. Ich versuchte irgendwann den Maserati-Fahrer in das Gespräch miteinzubeziehen, wogegen er sich etwas wehrte. Und ich sah ihn nur an und meinte: „Ach, man kann dich doch nicht alleine so da sitzen lassen!“ Und er sagte: „Ach, ihr unterhaltet euch ja so schön…“
Wer auch noch in die Kneipe kam, war Wal-y, der überhaupt nicht wusste, wo seine Freunde alle waren. Ich sagte ihm, die seien alle bei Sabrina. Er unterhielt sich dann mit dem Oberstudienrat.
Die Hexenzunft-Rocker waren auch da, bis auf Ikki.

Irgendwann meinte ich „Ich gehe mal kurz telefonieren…“ und ging vor die Kneipe. Ich rief U. an um zu fragen, wer alles dort sei und ob sie noch kommen würden. Er meinte, sie würden wohl nicht kommen und nannte ein paar Namen. Ich fragte ob Jo auch da sei und er meinte nur widerwillig und in sehr barschem Ton: „Ja.“
In der Kneipe überlegte ich lange. Vielleicht zu lange, was ich jetzt machen sollte. Eigentlich sollte dieser Tag etwas Besonderes werden. Also meinte ich zu den beiden „Ich nehm jetzt mein Schicksal in die Hand!“, weil die Sägger-Frau gerade irgendetwas mit Schicksal gesagt hatte. Und die beiden wünschten mir viel Glück und noch einen schönen Abend.

Als ich auf der Straße stand kam ich mir noch heroisch vor. Nach dem Telefonat natürlich nicht mehr. Ich rief meinen Dad noch einmal an, denn ich wollte nun auch auf die Party. Wenn sie schon nicht kommen würden, dann ich. Doch U. kam mir dem Argument: „Nein, du kommst nicht, hier sitzen nur alte Säcke.“ Ich sagte ihm, dass ich doch alle kennen würde und mir das nichts ausmache. Ich dachte mir: ‚Herrgott nochmal, das sind zwar in erster Linie seine Freunde, aber zumindest in zweiter auch meine, oder?‘ Aber es blieb dabei: Ich durfte nicht kommen. Und dann hörte ich nicht mehr, was er sagte. Ich ließ das Handy sinken und mir wurde schwarz vor Augen, weil er mich einfach nicht dabeihaben wollte. Weil er mich womöglich von Jo fernhielt. Gut, ich nenne ihn U. und er ist mir nicht immer der liebste Vater, aber er ist trotzdem mein Dad. Und es brach alles in mir und ich legte auf und ging schniefend nach Hause und erzählte erst meiner Mum, wie grausam das war und dann meiner besten Freundin, die mir half einen Plan zu schmieden. Also richtete ich mich wieder hin, sodass ich lebendig aussah, schrieb mir die Hausnummer von Jens und Sabrina in die Handinnenfläche, plackte für den Fall so eine kleine Schlüsselanhängertaschenlampe ein und stiefelte wieder los. Voller Mut. Voller Tatendrang. Bis mir U. wieder in die Quere kam und sagte, er gehe jetzt ins Nest. Als er merkte, dass ich immer noch da stand, wo ich stand meinte er, ich dürfe immer noch nicht auf die Party und Jo würde auch gleich kommen. Ich glaubte ihm kein einziges Wort. Ich spürte nur noch ein Gefühl von Hass und Enttäuschung. Außerdem war das, was er gerade tat unterstes Niveau. Er hielt mich von der Gesellschaft fern. Doch das ließ ich nicht mit mir machen. Immerhin stelle ich auch etwas dar.
Ich folgte ihm also widerwillig. Und uns kamen dann vier Leute entgegen, die ihn kannten. U. wollte die vier ins Nest schleppen. Es waren zwei Paare und die Frauen wollten eher heimgehen, folgten aber dann doch ihren Männern, die meinten: „Ach kommt, ein Gläschen können wir noch trinken gehen!“ Die Frauen versuchten mit ihrem Lächeln zu vertuschen, dass sie da überhaupt keine Lust mehr drauf hatten. Und das machte sie sympathisch. Leider konnte ich sie nicht mehr kennen lernen, denn kurz vor dem Nest, mein Dad war noch nicht mal wirklich um die Ecke gebogen, drehte er um und meinte zu mir: „Der hat schon zu.“ Und zu seinen Freunden: „Aaahh, gehen wir ins Irish!“
Während sich die fünf Gestalten also von mir entfernten, stand ich noch an der Ecke und dachte: ‚Das war’s, die Person ist bei ganz unten durch‘ Denn ich sah sogar ohne Brille, das der Wirt noch offen hatte. Ich hörte nämlich die Musik. Also ging ich einfach ins Nest. Und Außerdem kam mir Teesorte entgegen. Ich ging also einfach nach dem Motto von Jo: Einfach um die nächste Ecke und weg, egal was die anderen denken. Einfach verschwinden.
Ich wusste, was ich jetzt wollte. Also sagte ich, als ich ganz hinten auf der anderen Seite der Theke saß: „Bacardi Orange.“ Und ich trank den auf Ikki, da er nicht da war und der mich auf den ersten Bacardi Orange meines Lebens einlud. Trank auf Frank, den ich nicht wieder gesehen hatte. Und ich trank auf all die, denen ich etwas bedeute, auch wenn ich nicht da bin. Auf die, die an mich denken. Auf die, die mich anrufen, wenn ich gerade keine Zeit habe. Auf all die, die ich liebe und die trotz allem meine Freunde sind. Nur auf wen ich nicht trank, das war U. Er zerstörte etwas. Eine Bindung, die gerade wieder da war. Aber was mich am meisten zerstörte war die Tatsache, dass mir niemand glauben würde, wie mir das schmerzte. Weil er ja so toll und beliebt ist. Weil sie nur die eine Seite von ihm kennen…
Und zum krönenden Abschluss kam er ins Nest und zahlte mein Getränk…was ich aber nicht wollte. Unter keinen Umständen würde ich mir von ihm noch einmal etwas ausgeben lassen. Lieber mache ich einen Deckel und lasse den irgendwo einsperren wo er nicht rankommt. Denn ab heute bin ich unabhängig. Und mir fiel noch jemand ein, auf den ich trinken konnte. Auf mich natürlich.
Neben mir saß der Oberstudienrat. Ich beschloss nicht mit ihm zu reden, da er ziemlich fertig aussah. Und dementsprechend torkelte er davon.
An seinen Platz kam eine von Kais Freundinnen. Ich fragte sie, ob er auch unterwegs sei und sie meinte, das sei er. Bisher hatte ich ihn allerdings nicht gesehen.
Es spielte das Lied „Alice“ und eine Frau mit langen blonden Haaren sang in der Pause „Who the F*** is Alice.“ Ich lächelte sie an, weil ich die Coverversion von Gompie auch kannte. Sie sah mich komisch an und kam dann zu mir und meinte, ich sähe jemandem ähnlich. Und zwar einer Verwandten von ihr. Ich war froh heute Abend noch etwas mit jemandem reden zu können. Sie mochte mich sichtlich, war sehr besorgt um mich und erzählte mir etwas aus ihrem Leben. Von Männern besonders. Sie meinte, ich solle auf mich aufpassen und ich versprach ihr, das zu machen.
Ich verließ die Kneipe und der Wirt rannte mir hinterher, weil er dachte, dass die äußere, die zweite Tür, schon abgeschlossen sei. War sie aber nicht. Ich nutze die Gelegenheit um mich noch einmal richtig mit einer Umarmung zu verabschieden. Und er fragte nur „Wo ist der Drecksäckel?!“ womit er Jo meinte. Ich antwortete ihm: „Drecksäckel hat mich alleine gelassen.“

Posted by Journey

Kategorie: Kneipentagebuch

Autor: Journey

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