Es war eigentlich ein Mittwoch. Spontan beschloss ich trotzdem noch in die Kneipe zu gehen. Draußen saßen so einige, die ich kannte. An einem Tisch saßen meine Friseurin, ihre Kollegin und zwei Männer. Und am anderen E., der Rechtsanwalt, R. und noch welche, deren Namen ich nicht kenne. Während ich mich umsah, wer alles dort saß, rief mich meine Friseurin zu sich und fragte nach meinem Urlaub. Ich sagte, er war schrecklich und ich wäre froh wieder in V. bei meiner Kneipe zu sein. Doch ich setzte mich nicht zu ihr raus, sondern rein zu Dieter. Als Bedienung war Luna da, die sich über weitere Gesellschaft freute. Dieter machte viel Blödsinn und versuchte uns damit immer zum Lachen zu bringen, was ihm auch gelang.
E. kam auch einmal kurz von draußen rein und als toller Schauspieler, so wie er eben ist, spielte er den Erschrockenen, als er mich sah. Er gehört auch zu denen, die finden, dass ich in dieser Kneipe nichts verloren habe. Zum einen hat er Recht, aber das ist meine Welt geworden, die ich nicht mehr missen möchte. Zum anderen sagt er das, weil er mit einigen auf Kriegsfuß ist und die dummen Sprüche nicht hören will, die manche von sich geben. Doch er kommt, genauso wie ich auch in diese Kneipe. Wir kommen wohl alle in die Kneipe in dem Wissen, dass wir nicht wissen, warum wir eigentlich dorthin kommen. Es ist wohl das Beisammensein, die Leute und Gespräche, das typische, was uns alle ins Nest zieht. Und obwohl sich selten etwas verändert, bleibt doch nichts gleich. Jeder Abend ist anders. Jeder Abend ist für mich ein Abenteuer.
Einer der weiteren Gründe, warum ich in die Kneipe komme, ist mein Geschichten-Tick. In meinem Kopf sammle ich Geschichten von vielen verschiedenen Personen. Ich höre den Leuten gerne zu und so manch einer ist froh darüber. Andere wollen wiederum nichts von sich geben oder lassen sich alles aus der Nase ziehen. Die Geschichten von jungen Leuten zum Beispiel interessieren mich nicht sehr. Es kommt selten vor, dass mir jemand eine interessante Geschichte erstens erzählen kann und zweitens überhaupt eine kennt.
Ich fragte Luna also, wo sie davor gearbeitet hat. Sie meinte, sie habe im Boulevard gearbeitet. Es war für sie allerdings nicht die Erfüllung, das sah man ihr an. Ich hatte auch schon davon gehört. Jo war früher oft dort. Jetzt weiß ich, warum er immer sagte, das Lokal sei nichts für mich. Denn immer, als ich nachfragte, meinte er: „Du gehst nicht mit!“ Die Leute, die mir Luna beschrieb seien anscheinend oft extrem betrunken und würden andauernd Streit suchen. Das hielt sie nicht mehr aus und wechselte deshalb zum Nest. Ich weiß noch, dass sie verheiratet ist. Und sie hat ganz lange glatte Haare, die sie für ihren Mann so lang wachsen lässt.
Irgendwann erhielt ich eine SMS von meiner Mum. Sie schrieb mir, dass U. die „Wanderer“ abholen würde. Zu den Wanderern gehören Jos Bruder Jens, seine Frau Sabrina, A. und der Pseudo-Engländer. Ich freute mich und schrieb ihr zurück, dass es bei mir dann später werden würde und sie nicht auf mich warten müsse.
Es dauerte allerdings noch ein bis zwei Stunden, bis die alle kamen. U. holte sie wie immer an irgendeiner Kneipe, die Endstation ihrer Wanderung war, ab.
Als alle kamen, wurde natürlich gleich eine Runde Whisky bestellt. Ich fragte so ganz nebenbei, wo denn eigentlich Jo sei. Als Antwort bekam ich: „In Bayreuth. Arbeiten.“ Ich war erfreut, dass doch noch Hoffnung darauf besteht, dass er auch mal arbeitet und beschloss bald zu gehen.
Dann ging die Tür auf und Larry kam rein. Ich war mir sicher, dass er irgendwann kommen würde, denn ich hatte ihn vorhin in der Gegend herumirren sehen. Anscheinend hatte er Sabrina und Jens gesagt, er müsse arbeiten, was wohl nicht ganz stimmte. Sabrina habe ihn jedenfalls auch gesehen. Und zwar, wie er in die Richtung der HK-Kneipe ging. Als ich meinte, dass ich ihn auch gesehen habe, sah mich Larry daraufhin mit seinem typischen Blick an, der mir zeigt, dass er keine Ahnung hat, warum ich überhaupt in diese Kneipe gehe. Er sagt immer: „Ach. So n‘ junges Mädel…“ und schüttelt dann den Kopf. Diesmal war er jedoch erst mal still. Ich wusste, es war nur eine Frage der Zeit, bis er es wieder sagen würde.
Ich beschloss nun endgültig zu gehen, wollte aber zuerst aufs Klo. Als ich provisorisch in den Spiegel sah dachte ich: „Schade, jetzt hast du dich in die Kneipe geschleppt und der ist arbeiten…‘ Ich sah den Abend also bereits als verloren und wollte mich gerade wieder auf meinen Platz setzen, den letzten Schluck austrinken und zahlen, als ich gewahrt wurde, dass da jemand saß. Und dieser jemand drehte sich genau in dem Augenblick um und begrüßte mich mit „Hi Mädl!“ Ich sagte kühl: „Hi-Jo-du-sitzt-auf-meinem-Platz…“ und drängte mich auf meinen Barhocker.
Mein Dad war gerade am Zahlen, da fragte Luna freundlich, ob sie denn meine Deckel auch dazuzählen solle. U. fragte daraufhin, wie viel da drauf sei. Es waren vier Radler. Daraufhin sagte er seinen berühmten Satz: „Ach, doch so viel…“ Voost, der auch bei uns am Tisch saß, sagte daraufhin: „Ha, haste aber ’ne teure Tochter.“
Sabrina wollte die ganze Zeit ihren Whisky Jo andrehen, da sie schon zu fertig war um überhaupt noch etwas zu machen. Doch er lehnte ab, was mich wunderte. War er krank? Er lehnte einfach so Alkohol ab?!
Luna brachte uns allen nach einer Weile Chips und deutete auf das Körbchen, ich solle mir doch welche nehmen. Ich lehnte dankend ab und meinte, dass ich dann nicht mehr aufhören könne mit essen. Jo aß allerdings neben mir und musste sich immer über mich beugen um an die Chips zu kommen. Ich wollte sie ihm hinschieben, da haute er auf einmal „aus Versehen“ seinen Arm gegen mein mittlerweile wieder neues, schon halbleeres Radlerglas und schleuderte es weg, weil er ja unbedingt auch etwas zum Thema Clips-Essen sagen wollte. Ich jammerte erschrocken „Jo…mein Glas!“ und Jo meinte nur: „Das hast DU gerade so hingestellt!“ Und ich antwortete ironisch: „Ja klar…“ Er beharrte jedoch darauf, dass ich ihm mein Glas in einer Sekunde so in den Weg gestellt hätte, nur damit er mir eins ausgeben müsse. Ich fragte möglichst lasziv: „Und wer soll es mir sonst ausgeben?“ Daraufhin bekam ich ein neues Glas und bedankte mich innerlich bei ihm, dass er immer etwas umkippen muss. Zum Glück traf er mich nicht, dafür aber den R., der „nur“ zwei Meter weiter weg von uns ebenfalls an der Theke saß.
Luna meinte irgendwann zu Jo, er hätte ihr etwas versprochen. Da wurde ich natürlich hellhörig. Aber er wusste nicht mehr, was es war. Daraufhin regte ich mich über sein schlechtes Gedächtnis auf. Er meinte dann nach einer Weile zu ihr: „Aber das würde mich jetzt wirklich mal interessieren, was ich dir versprochen habe…“ Ich sah ihn an und meinte „Mich auch…“ Die Sekunden verstrichen, bis Jo endlich verstand, was ich da eigentlich gesagt hatte. Also fragte er mich: „Warum interessiert DICH das denn?!“ Ich antwortete ihm, dass mich das einfach „nur so“ interessieren würde.
Nach vielen versteckten Hinweisen und Bemerkungen von der Bedienung kam er dann darauf, dass er versprochen hatte mit ihr ins Casino zu gehen. Sie nahm das Ganze sehr ernst oder tat zumindest so. Jo meinte, sie müsse 1000 € und noch Geld zum Übernachten mitbringen. Sie meinte, das sei kein Problem. Und dann fragte er, ob sie wisse, dass sie dann mit ihm in einem Bett schlafen müsse. Luna rief nur mit einer Mischung aus Empörung und Entgeisterung: „Nein!“
Am Ende der Diskussion kam Jo mal wieder zu dem Entschluss, dass wir Frauen nirgends was zu suchen hätten und meinte, dass nur die Asiatinnen toll seien. In Sachen Sex, geschäftliche Arrangements und Casinos.
Es dauerte nicht lange, da machten sich Sabrina und Jens auf den Nachhauseweg. Dieter war auch schon längst gegangen. Er hatte zum Abschied meine Hand genommen, küsste allerdings zuerst seine und dann meine, was mich zum Lachen brachte, da so etwas für ihn typisch ist.
Am Schluss blieben nur Jo, Larry, gezwungenermaßen U. und ich übrig. Denn mein Dad sah bei der Zockerei von Jo, Larry und Luna am Automaten nicht gerne zu. Ich sah allerdings belustigt zu, wie sie spielten. Denn jeder steckte Jo sein Geld zu und er zockte für sie mit und teilte den Gewinn, falls er gewann.
Als es das erste Mal soweit war und man das Geräusch der Münzen hörte, wie sie aus dem Automaten kamen, sagte Larry, der mittlerweile schon recht angetrunken war „Ohhh, was? Es scheppert!!“ und freute sich. Jo nahm das Geld, bildete Häufchen und sah wahrscheinlich nach, ob sie gleichgroß waren. Einen wirklichen Sinn konnte ich mir bei den paar Euro allerdings nicht vorstellen, aber er versuchte professionell auszusehen. Als Larry sein Geld bekam, gab er zur Feier des Tages meinem Dad einen Whisky aus, der sich bedankte, aber dann woanders hinsetzte.
Natürlich verzockte Larry sein ganzes gewonnenes Geld wieder mit Jo. Und als er nur noch sechs Euro hatte, gab er mir zwei und wollte den Rest noch verspielen. Ich sagte „Danke.“ und mir kam die Idee, dass ich Jo diese zwei Euro geben könnte. Er verlor dann allerdings und sagte: „Jetzt hat jeder einmal gewonnen, nur sie nicht.“ Dann lachte er mich aus. Ich sah ihn daraufhin überlegen an und sagte: „Wieso? Larry hat mir die zwei Euro gegeben.“ Er lachte nur noch mehr. Ich wusste allerdings nicht, ob er weiterlachte, weil ich versucht hatte mich zu verteidigen, oder weil es nicht mein Geld war.
Luna spielte nur provisorisch mit, also nicht bei jedem Spiel. Sie hatte allerdings richtig Spaß daran. Natürlich sagte Larry irgendwann mit seiner scharfen Beobachtungsgabe, dass ich auf Luna aufpassen müsse. Sie sei aus seiner Sicht meine Konkurrentin in Sachen Jo. Ich sagte, ich sei außer Konkurrenz, denn sie sei verheiratet und man sah ihm wieder an, dass er erstens nicht verstand, warum ich hier war und zweitens ebenfalls nicht verstand, was den an Jo so toll sein sollte. Seine Gedanken zu lesen war einfach, auch wenn er betrunken war. Oder gerade deswegen: „Was hat au der, was i nit hab?!“
Was Jo besonders auf die Nerven ging war die Tatsache, dass die Leute sich mit ihm unterhielten, während er spielte. Besonders Larry wollte nicht still sein und ich drehte ihn dann immer von Jo weg und sagte „Larry, lass uns reden.“ was Jo mitbekam und daraufhin über mich lachte. Aber am schlimmsten war es für ihn, wenn Luna sich in seine Richtung bewegte und rief: „Jooooo, ich unterstütze dich!!!“ Da war ihm dann die Angst definitiv ins Gesicht geschrieben.
Jo hatte das Glück noch einmal für Larry und sich zu gewinnen. Und dieser sah sich sein Geldhäufchen an, schob alles zu Jo rüber und meinte entschlossen: „Un des wird jetz au verzockt!!!“ Und Jo, der mittlerweile wirklich keine Lust mehr hatte, sagte genervt: „NEIN!“ Er wollte auch nicht, dass Luna ihr ganzes Trinkgeld verspielte und fand, dass Frauen sowieso nichts am Automaten zu suchen hätten. Er wollte wenn, dann alleine nur für sich spielen. Ohne Larry. Und ohne Luna, die auch wieder mitspielen wollte.
Daraufhin machte Larry ein erschrockenes Gesicht, weil Jo nicht mehr wollte, und fragte: „Ja, wa mach ma au jetz mit dem Geld?!“ Während ich wegen dieser unlogischen Frage fast vom Barhocker kippte vor lachen, hatte er eine Entscheidung getroffen: „Jo, du bekommsches.“ Ich sah Jo an und er meinte „Nein, gib’s ihr.“ und schob alles zu mir rüber. Ich legte meine Hand auf das Geld und wollte gerade vorschlagen, dass Larry das Geld doch einfach behalten solle, da sagte Jo provokativ: „Ja, du könntest dich wenigstens mal bedanken!“ Das traf mich und ich versuchte Moralapostel zu spielen und auf Larry einzureden. Doch der bekam nichts mehr mit und ich nahm das Geld und steckte es ihm in die Hemdtasche. Dann sah ich Jo mit dem Das-war-doch-eine-gute-Tat-Blick an und er sagte einfach nur: „Also wenn du’s ihm in die Hosentasche gesteckt hättest, wär’s ihm lieber gewesen…“ Ich haute ihn daraufhin eine und meinte, er sei pervers.
Als U. sich wieder zu uns gesellte, meinte Jo: „Also, gehen wir alle drei gemeinsam Heim…?“ Und ich fragte nur etwas abwertend „Drei?“ wobei das mehrfach deutbar gewesen sein könnte. Ich war nämlich gegen das „Drei“. Ich meinte eigentlich, dass Jo dort zurückbleiben würde, was eigentlich typisch für ihn gewesen wäre, und U. und ich würden alleine gehen. Natürlich dachte ich auch an die Kombination von Jo und mir, aber die würde weniger Sinn ergeben, da ich mir nicht vorstellen konnte, dass er gerne mit mir hier alleine zurückbleiben würde. Und Jo meinte nur: „Ja willst du noch hier bleiben?“
Der Abend oder besser gesagt die Nacht endete mit Jo und mir an der Theke. Lange blieb ich jedoch nicht, weil ich diesmal die war, die Streit suchte. Ich meinte, er sei gemein und er meinte, er habe mir nie etwas getan. Dann dachte ich nach und eigentlich hatte er mir wirklich nie etwas getan. Jedenfalls nie wirklich. Und es brach mir das Herz und tat mir furchtbar Leid, dass ich das gesagt hatte. Doch bevor ich das zugab, ging ich lieber mit den Worten: „Dann verpiss ich mich halt.“
Ich wollte an diesem Abend wohl etwas „Liebe“, doch als ich merkte, dass die nicht zu holen war, dass sie wahrscheinlich auch nie zu holen sein wird, konnte ich nicht mehr und musste gehen. Gehen, bevor ich noch mehr Sachen sagen würde, die ich niemals hatte sagen wollte.