Wer bin ich?!
Hallo, mein Name ist Luisa, aber ich bevorzuge die Kurzform Lui. Ich finde, das klingt irgendwie so unisex. Wäre ich nicht so augenscheinlich weiblich, könnte ich dann nicht auch ein Mann sein? Und speilt das Geschlecht für meine Gedanken denn eine Rolle? Laut meinem abgelaufenen Ausweis bin ich 28 34, laut einem Facebooktest 43 und ich befürchte in Wahrheit bin ich gerade mal 12 und überfordert mit der Frage, wer ich denn nun eigentlich bin. Denn was kann ich schon sicher über mich sagen?
Ich bin irgendwie alles und nichts. Ständig im Wandel. Kann und will mich nicht festlegen. Und dennoch suche ich eine absolute Konstante in mir. Irgendetwas, von dem ich sagen kann, dass es mich ausmacht. Ja, so bin ich! Doch kann mein Selbst im hier und jetzt überhaupt etwas Statisches sein? Eine Einheit? Ich bin zwar die Summe all dessen, was ich gesagt, getan und erlebt habe, aber ich fühle mich zu oft eher wie die Zahl I. Eine irrationale Zahl. Iiii – oder: eine wandelnde Identitätskrise?
Denn je mehr ich verzweifelt nach mir suche, desto mehr stelle ich fest, dass da einfach nichts ist, das es zu definieren gibt. Je mehr ich mich frage, desto mehr versinke ich auf der Suche nach Antworten. Desto diffuser und ungreifbarer werde ich.
Und zurück bleibt eine scheinbar zersplitterte Seele, deren Milliarden kleine Teilchen wie Staub im Inneren meines Körpers umherwirbeln. Und ich kann sie nicht einfangen, nicht fassen, so sehr ich es mir manchmal auch wünsche. Ich weiß aber, dass sie außerhalb in den Köpfen anderer sehr wohl ein Bild von mir entstehen lassen.
Einer der ersten Eindrücke sozusagen. Denn seien wir mal ehrlich: In der Regel ist der erste Eindruck, den wir von jemandem anderen haben, das Aussehen. Deshalb ist mein Profilbild im Internet auch schwarz. Keiner soll wissen, wie aussehe. Denn bereits da entspricht mein Innen nicht meinem Außen. Das was ich heute anhabe ist eher ein soziologisches Experiment, das sich wohl in den Augen meiner Mitmenschen zu einer Art Stil entwickelt hat, mit dem sie mich verbinden.
Doch was sagt schon das Außen über mich aus? In mir gibt es so vieles, das ich mehr erkennen und zeigen möchte in der Hoffnung, dass mein Gegenüber das auch tut und wir uns vielleicht in vielen Punkten ähneln. Innerlich. In der Regel verläuft das allerdings erfolglos und nach folgendem Muster:
Zuerst einmal ziehe ich mich aus. Verbal natürlich. Das liegt daran, dass ich gerne offen wäre und so erzähle ich einfach alles von mir. Lasse alles fallen. Schicht um Schicht. Und wenn das nicht reicht, tja, dann übergebe ich mich. Denn: Alles. Muss. Raus! Ich will so sehr, dass ihr mich kennen und verstehen lernt und treibe es bis an die Spitze. Ich ergieße Buchstaben über das Blatt bis zur absoluten Erschöpfung. Und dabei vergesse ich, dass ich mir genau dadurch ja auch eine Form gebe.
Und wieder lasse ich ein Bild von mir entstehen. Das ich nur zum Teil bin. Aber selbst wenn ich mich so schamlos ausziehe, im Grunde wird mich auch nach diesem Text keiner wirklich kennen. Inklusive mir.
Wenn ich es recht bedenke, komme ich mir eher vor wie Frankensteins Monster. Nur mit Innereien. Eigentlich bin ich so Patchwork, dass es mich jedes mal davor graust, mich überhaupt irgendjemandem vorzustellen, da ich bestimmt irgendetwas von all dem, was ich war und bin und gerne wäre, vergesse. Denn auch wenn ich eigentlich nichts weiß, versuche ich dennoch in allem so sehr ein Unikat und absolut grandios zu sein, dass mir mein ganzes Sein manchmal zu viel wird! In diesen Momenten kann mich alleine schon die simple Frage nach meinem Musikgeschmack vollends überfordern.
Warum ist das so?
Warum bin ich so für jeden ein anderer Mensch? Warum sage ich so oft offenherzig alles und habe trotzdem das Gefühl nicht ich zu sein? Warum verstehe ich mich mit so vielen Menschen nur auf so wenigen Ebenen falls überhaupt? Warum teile ich mit allen ein bisschen aber mit niemandem mehr?
Und so renne ich irgendwann raus, weil mir alleine zu Hause die Decke auf den Kopf fällt, weil ich vor lauter Fragen nach meinem Selbst und dem Sinn meines Seins nicht mehr weiß, wer ich bin.
Ich begegne Menschen, kann ihnen jedoch nicht mehr in die Augen sehen, habe Angst, dass sie erkennen, dass ich mich gerade verliere. Habe Angst, dass sie mich kennen lernen wollen, wo ich mich doch nicht mal selbst kenne.
Orientierungslos und einsam in einer Welt voller scheinbar gefestigter Persönlichkeiten. Es ist aber auch eine Welt voller Schubladen, in die wir uns alle mal bewusst, mal unbewusst stecken.
In welche habt ihr mich gesteckt, als ihr mich das erste Mal gesehen habt? Und stecke ich jetzt immer noch darin?
Wisst ihr jetzt, wer ich bin? Ich weiß es nicht…