Das Selbstkonzept und das Schreiben

Wie mein Einleitungstext deutlich zeigt bin ich ein Mensch, der immerzu auf der Suche nach sich selbst ist. Neben der Selbstwertthematik, mit der ich mich gerade verschärft auseinandersetze, bin ich somit auch auf die personenzentrierte Theorie von Carl Rogers gestoßen, welche sich in meinem alten Psychologiebuch wiederfindet und sich mit dem Selbstkonzept befasst.

Aber was ist eigentlich ein Selbstkonzept?

„Das Selbstkonzept stellt die durch Erfahrung zu Stande gekommene Gesamtheit der Sichtweisen dar, die eine Person von sich selbst hat, einschließlich deren Wertung.“ [1]

Das Selbstkonzept ist also die eigene Sichtweise auf mich selbst. Es besteht aus zwei Teilen:

Real-Selbst: → Bewusstsein darüber, wie ich mich sehe, was ich bin und was ich kann; nicht wie die anderen mich sehen!; wird auch Selbstbild genannt

Ideal-Selbst: → wie ich gerne sein möchte / wie die anderen mich haben möchten (letzteres beruht auf der Tatsache, dass der Mensch so sein will, wie seine Mitmenschen ihn haben wollen[1])

 

Wir Menschen streben danach das Real-Selbst und das Ideal-Selbst möglichst in Einklang zu bringen. Das erleben wir als positiv und dann sind wir auch entspannt und ausgeglichen.

Ein einfaches Beispiel aus meinem Leben:
Ich selbst sehe mich als sehr gute Bildbearbeiterin. Andere (Kunden, mein Chef,… eigentlich alle, von denen ich bisher Feedback erhalten habe…) sehen das auch so, loben mich, geben mir positives Feedback. → Real-Selbst und Ideal-Selbst stimmen überein

 

Weicht das Real-Selbst jedoch stark vom Ideal-Selbst ab, so kommt es zu inneren Spannungen, innere Unruhe und Unausgeglichenheit.

Ein (etwas komplexeres) Beispiel aus meinem Leben:
Ich selbst sehe mich (eigentlich) als gute Autorin mit Potenzial und als interessanten Menschen, der auch was zu sagen/schreiben hat. Das Außen (besonders Familie, Freunde) spiegelt mir das jedoch nicht wider. Lege ich den Menschen im Außen einen Text vor, der mir am Herzen liegt, wird er oft gar nicht gelesen oder nicht verstanden bzw. missverstanden/fehlinterpretiert.
→ Real-Selbst und Ideal-Selbst stimmen nicht überein

So gerät mit der Zeit mein Selbstbild, dass ich eine gute Autorin bin, immer wieder mal ins Wanken. Ich beginne daran zu zweifeln und etwas in mir findet im Außen auch immer wieder Situationen, die mich in der wachsenden Annahme bestätigen, dass ich eben nicht gut genug schreiben kann. (z.B.: wenige Menschen kaufen mein Buch, noch weniger haben sich für meine Lesung interessiert und meine bescheidenen Versuche, das Buch unter die Leute zu bringen sind kläglich gescheitert…außerdem liest das hier ja auch kaum jemand…)

Aber warum bringt mich das Feedback von anderen bzw. das fehlende Interesse so sehr ins Schleudern?

In meiner Jugend kam es sehr oft vor, dass das, was ich anderen vorgelesen habe, nicht auf die Weise gewürdigt wurde, wie ich es mir gewünscht habe. Ich konnte mit keinem wirklich darüber sprechen, was da stand. Von Freunden und Familie nicht die Form von Wertschätzung zu erhalten ist auf Dauer nicht gut für die seelische Entwicklung und der Ursprung von Minderwertigkeitskomplexen und Depressionen.

„Wertschätzung ist eine positive gefühlsmäßige Grundhaltung des Erziehers gegenüber dem Zu-Erziehenden, die sich darin zeigt, dass dieser dem Zu-Erziehenden Achtung, Wärme und Rücksichtnahme entgegenbringt, während sich Geringschätzung in Missachtung, Kälte, Härte und Ablehnung äußert.“ [1]

 

Madame S. (Selbstzerstörung) ist entstanden aus all der Geringschätzung, die ich früher erhalten habe. Von meinen Eltern, Freunden, Lehrern, Mobbern,… Dabei spielt es oft auch keine Rolle, wenn mich heute genug Menschen loben und an mich glauben. Sie lässt es nicht zu, dass dieses Lob Gewicht bekommt, besonders wenn es von denselben Menschen kommt, die es damals nicht getan haben oder tun konnten.
Wer meinen Blog aufmerksam gelesen hat oder mich gut kennt, der weiß, wie lange ich zu kämpfen hatte mit meiner eigenen Geringschätzung mir selbst gegenüber… und ich bin heute noch dabei, auch wenn ich mir längst nicht mehr massiv mit Alkohol, Verletzungen oder Risikoaktionen schade.
Heute bin ich zum Glück auch eher in der Lage, mir ein Stück „Selbstwirksamkeit“ zurückzuholen, auch wenn es mir oft nicht leicht fällt, da mein Selbstkonzept immer noch negativ geprägt ist. Man kann mich auch unglaublich schnell verunsichern (das gilt auch für mein Selbstbild von einer sehr guten Bildbearbeiterin) und es fällt mir nach wie vor schwer in manchen Punkten meiner negativen Wahrnehmung nicht zu unterliegen und dadurch mein Selbstkonzept zu bestätigen (siehe auch: Selbsterfüllende Prophezeiung).

„Da Menschen entsprechend ihrem Selbstkonzept wahrnehmen und sich verhalten, machen sie immer wieder „passende“ Erfahrungen – Erfahrungen, die ihrem Selbstkonzept entsprechen.“ [1]

 

Habe ich aufgrund meiner bisherigen Erlebnisse eine hohe Selbstachtung, so besitze ich ein flexibles Selbstkonzept. Das bedeutet, ich kann leichter mit neuen Erfahrungen umgehen, mich an sie anpassen und sie in mein Selbstkonzept integrieren.

Wenn meine Selbstachtung jedoch gering ist, so habe ich ein starres Selbstkonzept und es fällt mir nicht so leicht, mein Selbstkonzept den neuen Erfahrungen anzupassen. Wenn diese z.B. positiv sind, kann ich sie nicht aufnehmen und ignoriere sie womöglich (wie das Lob von anderen). Sie können sogar bedrohlich erscheinen und werden abgewertet, verleugnet oder verzerrt, um das labile Selbstwertkonstrukt zu schützen.

Was das schreiben angeht, gibt es zwei Teile in mir…
Der eine glaubt tatsächlich an mich und daran, dass ich Talent habe. Das „spüre“ ich einfach in mir. Der andere ist Madame S. und der macht mich nieder. Dieses starre Selbstkonzept aufzulösen ist wirklich verdammt schwierig für mich, weil sich eben alles in mir zur Wehr setzt, um in dem negativen gewohnten Selbstkonzept verhaftet zu bleiben.

Aber… ich habe es gewagt… mit Hilfe von Observer, der an mich glaubt und es auch geschafft hat, dass mich dieser Glaube erreicht. Weil er mir und meinem Blog von Anfang an eine Form von Wertschätzung entgegengebracht hat, wie es noch kein anderer getan hat.

Für mich war es dennoch ein unglaublich großer Schritt, mich an einen Schreiblehrer zu wenden, der mich gerade unterrichtet und bei dem ich online wöchentlich eine Aufgabe bekomme und nach 6 Tagen abgebe. Dazu erhalte ich dann Feedback.
Die erste Mail an ihn hat mich alle Nerven und alle meine Fingernägel gekostet (ja, in ganz nervösen angespannten Situationen kaue ich Fingernägel…) und der erste Anruf ging mir auch so richtig unter die Haut (vor allem, da wir uns tagelang nicht erreicht haben…).
Doch ich habe es überlebt und ermögliche es mir dadurch neue Erfahrungen zu machen (und den Mist mit dem Abi vielleicht besser wegstecken zu können, da ich das ohnehin nur wollte, um schreiben zu lernen.)

 

Natürlich weiß ich immer noch nicht, wer ich bin, aber die Theorie von Carl Rogers (die noch weitaus mehr beinhaltet als dieser Beitrag) hat mir zumindest wieder einmal bestätigt, woher meine Komplexe kommen… und was mir wirklich wichtig ist.
Ich mag jedenfalls diese Theorie, weil sie unglaublich schlüssig klingt und vieles erklärt.

 

Wie sieht es denn bei euch aus? Ist euer Real-Selbst und euer Ideal-Selbst überall im Einklang oder fühlt ihr euch auch irgendwie unausgeglichen? Und wo verspürt ihr dieses Gefühl? Wollt ihr es ändern?


Weiterführende Links, Quellen etc.:

Ein sehr interessantes Video über andere Erkenntnisse von Carl Rogers: Carl Rogers‘ bedeutsame (Lebens-)Erkenntnisse

[1] Zitate aus meinem Psychologiebuch von Hobmair

Btw.: Die „Kinder-Grafik“ mit den Baum-Zeichnungen ist von mir und die Legofiguren habe ich mit der Software Lego Digital Designer erstellt.

Posted by Journey

Kategorie: Allgemein

Autor: Journey

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4 Kommentare        

Oh was für ein Artikel … bin gerade sehr berührt! ich finde mich da total wieder, in diesem Zwiespalt, einerseits an mich zu glauben und andererseits totale Selbstzweifel zu haben.

Ich würde mal behaupten, mein Real-Selbst und mein Ideal-Selbst ist fast überall im Ungleichgewicht … ob nun beruflich oder im zwischenenschlichen Bereich … hast ja gelesen, was sich gerade in meinem Kopf und Herzen abspielt in Bezug auf die beiden Internet-Kontakte.

Was dein Schreiben und die Selbstzweifel betreffen: ich denke, dass das jeder, der künstlerisch tätig ist, in sich trägt. Mir ging/geht das auch immer so. Als ich früher Musik gemacht habe, war ich mir nie gut genug, selbst wenn Leute meine Musik gut fanden. Fehlendes positives Feedback bringt mich auch arg ins Wanken und ich fange an zu denken, ich bin eine Versagerin. 

Ich kann auch schlecht Lob und Komplimente annehmen. In meiner Kindheit und Jugend wurde ich auch nie groß gelobt und bestärkt. Anderserseits braucht man diese Bestätigung aber, um weiter an sich und seine Träume zu glauben. Aber man kann nicht jedem gerecht werden und gefallen, das ist etwas, was ich versuche, immer im Kopf zu behalten. Irgendwann werden die Bemühungen fruchten und du bekommst auch die Anerkennung, die du verdienst hast. Von den Menschen, die dich gut finden und das honorieren, was du leistet 🙂 

Liebe Grüße

Claudia

 

 

Hallo Claudy!

Vielen Dank für deinen lieben Kommentar!
Es freut mich, dass du etwas aus dem Blogeintrag ziehen konntest. Auch wenn das natürlich kein schönes Thema ist, so ist es gerade auch sehr zentral in deinem Leben…
Ich hoffe auch, dass du es schaffst, irgendwann die Anerkennung zu bekommen (und annehmen zu können), die du verdient hast! Und vor allem wünsche ich dir, dass du aus „deinem Keller“ ein Stück weit raus findest. Wir sind nämlich eigentlich beide keine Versagerinnen… und ich denke nicht, dass wir es in dem Ausmaß sind, wie wir selbst es oft denken und fühlen…

Liebe Grüße auch an dich!

Mariam El-Husseini

Ich bin dankbar für den Beitrag, denn er hat mir eine wichtige Erkenntnis gebracht. In der Reflexion darüber wurde mir bewusst, dass ich mich selten wirklich intensiv mit meinem wahren Selbst auseinandersetze und wie es sich von meinem Ideal-Selbst unterscheidet. Es fiel mir auf, dass diese beiden Aspekte meiner Identität oft im Konflikt stehen, anstatt sich gegenseitig zu ergänzen und zu stärken, wie es eigentlich sein sollte. Diese Erkenntnis hat mich dazu bewogen, mein Leben bewusster zu gestalten und feste Ziele zu setzen, die mir helfen, meinem Ideal-Selbst näher zu kommen. Indem ich mir klare Ziele setze, kann ich gezielt an meiner persönlichen Entwicklung arbeiten und Schritte unternehmen, um meine Träume und Visionen zu verwirklichen.
 

lg Mariam 

Hallo Mariam,
vielen Dank für deinen Kommentar! Zu lesen, dass ich jemandem mit einem Beitrag eine so wichtige Erkenntnis gebracht habe, freut mich sehr. : )
Ich wünsche dir auf deinem Weg zu deinem Idealselbst auf jeden Fall noch viele weitere Erkenntnisse und dass du es schaffst, durch deine klaren Zielsetzungen der Verwirklichung deiner Träume näher zu kommen!

Liebe Grüße
Lui

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