Kurzgeschichte: Lektorat

Ein paar Worte vorweg: Dies ist meine absolute Horrorvorstellung vom Verlagswesen. Jedes Mal, wenn ich daran denke, dass ich mich mit dem Buch, was ich gerade schreibe, ja auch irgendwo sichtbar machen könnte/sollte/müsste, damit mein Traum von einem Buch in den Regalen einer Buchhandlung auch nur ansatzweise eine Chance hat, denke ich an solche Menschen wie in dieser Kurzgeschichte und ich fühle mich machtlos, klein, wertlos,… und chancenlos. Und das liegt, wie ich mittlerweile begreife, nicht daran, dass ich kein Abi habe…das wäre auch mit Abi nicht anders. (Woran es liegt und wie ich das bewältigen kann, bin ich noch am Ergründen…)

Um jedenfalls mal meine Empfindungen dazu vielleicht etwas besser nachvollziehen zu können, wollte ich nicht schon wieder jammern und habe das daher in dieser Form aufgeschrieben. In meiner Vorstellung läuft das jedenfalls immer so ab. In meiner Vorstellung wird es einfach so enden wie mit diesem Blog: Kein fesselnder Stil, wenig Leser, wenig für den Leser relevante Themen, vielleicht auch zu komplex formuliert, kein Feedback zur Verbesserung… zu wenig Influencer… kurz: Ich lebe hier in meiner eigenen abstrakten Welt. Manchmal kommt jemand vorbei und schreibt was dazu, was mich dann freut. Zu oft passiert aber nichts… und ich mache einfach weiter in der Hoffnung, dass meine Gedanken zu diesem und jenem dann doch das ein oder andere in  den Menschen auslösen, was sie mir eben nicht mitteilen. 


„Und, was Interessantes dabei?“ fragte Manfred S. seine Frau, mit der er gerade zu Abend aß.

„Nee. Heute waren die Manuskripte mal wieder voll von diesen BoD- und anderen Selbstverlags-Spinnern, die ernsthaft glauben, wir würden ihr Leben oder ihre Kurzgeschichten abdrucken. Oder ihre ellenlangen Ausführungen irgendwelcher ausgedachten Geschehnisse. Ich weiß auch nicht, woher die den Mut nehmen, überhaupt unseren Verlag anzuschreiben. Die sollten doch unser Programm kennen. Aber denen ist wohl nicht mehr zu helfen.“

Frau S. lachte eher freudlos und verdeutlichte mit einer abwertenden Handbewegung, dass ihr Mann sie nicht weiter nach ihrem Tag als Lektorin fragen sollte. Betrübt sah dieser jedoch in seine Suppe und fragte sich nicht zum ersten Mal, wie hart die Verlagswelt da draußen wohl sein musste. Er war froh, sich niemals ernsthaft in den Kopf gesetzt zu haben, Autor werden zu wollen. Diesen Wunsch hatte er zugegebenermaßen auch relativ rasch aufgegeben, als er feststellte, wie ihn das in tiefe Depressionen und Selbstzweifel stürzen konnte.
In Momenten wie diesen, in denen seine Frau so abgebrüht über ihre Arbeit sprach, spürte er aber immer noch einen Stich und hatte Mitleid mit den jungen und alten Autoren, die einfach niemals eine Chance bekamen, sofern sie dem Verlag kein sicheres Geld einbringen würden und im Grunde namen- und somit wertlos für diesen waren.

„Da war ernsthaft so eine Spinnerin dabei, die meinte, dass ihr Blog und ihre Erfahrungen irgendjemanden interessieren würden. Sie weiß vermutlich selbst, wie lächerlich sie sich damit macht, denn ihr Anschreiben hat sogar schon eine Bitte um eine sensible Absage enthalten. Haha, als hätten wir die Zeit für sowas. Immerhin hat sie einen bereits frankierten Luftpolsterbrief beigelegt, in dem wir den ausgedruckten und sorgsam abgehefteten Auszug aus ihrem Buch zurückschicken sollen, falls es doch nichts werden sollte. Manmanman… muss ihr echt wichtig sein. Aber ist nicht meine Baustelle. Kannst ja gerne mal reinlesen und den Mist dann zur Post bringen. Als ich meiner Chefin davon erzählt habe, fand die das auch albern…“
Sie deutete auf die Anrichte, auf der ein unverschlossener Umschlag lag. Manfred linste herüber und war irgendwie neugierig geworden, wusste aber nicht, ob er sich wirklich damit auseinandersetzen wollte. Er war irgendwie froh, dass das nicht sein Job war und fragte sich gleichzeitig, wie seine Frau das machen konnte. Vermutlich musste man mit der Zeit so emotionslos als Lektorin werden, um sich abzugrenzen und den Verlag nicht durch gefühlsduselige Fehlentscheidungen in den Ruin zu treiben. Aber war das wirklich der Grund? Wie oft hatten denn schon Autoren mit der Verarbeitung unzähliger Absagen kämpfen müssen, bis sich ein Verlag erbarmt und ihr Potenzial entdeckt hat? Und mit einem Mal waren sie dann berühmt…

Als seine Frau im Bad verschwand, nahm Manfred dann doch den Umschlag an sich und begann zu lesen. Er sah sofort wie unglaublich viel Mühe sich die Autorin mit allem gegeben hatte. Sie hatte das Buch bereits selbst auf eine professionelle Art gesetzt, ein Cover ausgearbeitet und unglaublich viele Gedanken in ihrem Anschreiben geäußert. Es war eine Art Autobiografie, aber nicht in üblicher Form. Viel mehr hatte es etwas von einer Selbstanalyse, die alles für ihr bisheriges Leben relevante von Anfang an beschrieb und laut ihrem Vorwort vor allem auch die Misserfolge und ihre dunkelste und depressivste Zeit enthalten sollte und wie sie damit umging. Er hatte noch nie so etwas unendlich Ehrliches in den Händen gehalten.

„Na, was meinst du?“
Er schreckte aus seiner Versunkenheit auf. Seine Frau war soeben ins Zimmer gekommen und legte sich zu ihm ins Bett.
„Also ich finde das gar nicht so uninteressant…“
Sie sah ihn mitleidig an, was ihn unglaublich verletzte und daran erinnerte, warum er seinen Traum aufgegeben hat. Zu seinen Texten hatte sie sich immer nur im Bezug auf Profit geäußert und sich nie auf das eingelassen, was zwischen den Zeilen mitschwang.
„Du hast keine Ahnung. So einen Kram will der Leser da draußen nicht lesen. Bring’s morgen einfach zur Post, okay?“ meinte sie nur und knipste das Licht auf ihrer Seite aus, ohne eine Antwort abzuwarten. Das war gut, denn so musste er nicht lügen. Er nahm sich vor, dieses Werk irgendwie auf die Ablage mit den angenommenen Manuskripten zu befördern. Ja, sein Traum war gestorben. Sein neuer war, einem Menschen zu dem Respekt zu verhelfen, den dieser Mensch verdiente… den eigentlich jeder Mensch verdienen sollte, der den Mut hat, sich so zu offenbaren.

 

Die nächsten Tage war Manfred sehr angespannt. Er wusste, dass seine Frau, die allzu gerne über junge Autoren herzog, es auf jeden Fall erwähnen würde, wenn dieses Manuskript erneut ihren Weg kreuzte.
„Sag mal… du hast den Briefumschlag doch zur Post gebracht, oder?“ fragte sie vorsichtig,  aber mit einem stechenden Unterton und sah ihn eindringlich an. Er wandte jedoch seinen Blick ab zu seinem Teller Spaghetti Bolognese und meinte trocken: „Nein, ich habe es in deinem Namen deiner Chefin mit dem Vermerk ‚unbedingt beachten!‘ hingelegt“. Er war nervös während er versuchte, seine Spaghetti  auf seine Gabel zu befördern.
„Was?!“ entfuhr es seiner Frau und sie legte das Besteck zu Seite. „Wie konntest du nur! Wie steh‘ ich denn jetzt da!?“
Ihm wurde kalt und auch seine Stimmung wurde es. Als er seine Frau anblickte, spürte er nichts mehr von ihrer anfänglichen Euphorie für ihren Job.

„Ich sehe nicht ein, warum die Verlagswelt sich so entwickeln sollte. Klar ist das dein Job. Aber das gibt dir noch lange nicht das Recht so scheiße zu Menschen zu sein, die im Leben noch Träume haben und fast alles dafür tun würden, um diese zu verwirklichen!“ entgegnete er ihr.
„Redest du von deinen Träumen?! Ich hab dir doch gesagt, dass deine Texte gut waren…“ meinte sie nur und setzte ihr Essen wieder fort ohne ihn anzusehen.
„Ja, aber du hast mir immer das Gefühl gegeben, dass mein Schreiben uns nie weiterbringt. Dass es sinnlos ist, was ich mache. Du hast mir nie geholfen so gut zu werden, dass ich auf dem Markt bestehen kann!“
„Du hast ja schon davor aufgegeben!“
Damit hatte sie einen wunden Punkt getroffen. Jetzt warf er sein Besteck in den Teller und stand auf. Die Art seiner Frau versetzte ihn in Rage und er schrie sie an: „Ja, weil ich von dir keine Unterstützung bekommen habe! Es ging immer nur um dich, deinen scheiß Job, den du eigentlich hasst! Du lässt das an Menschen aus, die noch Träume haben! Du hast auch mich in all den Jahren immer mehr desillusioniert! Du machst mich krank!“

Damit verließ er das Haus. Er wusste, dass er überreagiert hatte und unendlich viele Vorwürfe in seinen Du-Botschaften steckten. Aber es war ihm nun egal. Alles war endlich einmal raus und es war befreiend. Auch wusste er, dass seine Frau schockiert war, da er ja nie etwas gesagt hatte. Still und leise hatte er den ganzen Frust seines eigenen gescheiterten Traums all die Jahre unterdrückt. Hatte mitangehört, wie seine Frau über die Sorte Mensch sprach, die er im Grunde war.

Posted by Journey

Kategorie: (Kurz)geschichten, Allgemein

Autor: Journey

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2 Kommentare        

Cool. Ich nehme nicht an, dass es Zufall ist, dass Manfreds Frau S. mit Nachnamen heißt 😉

Die Geschichte stellt genau den Spagat dar, den die Buchwelt machen muss: die freie Kunst durch leidenschaftliche Kunstschaffende auf der einen Seite und die Notwendigkeit des Überlebens eines Verlages auf der anderen.

Neulich hat mir irgendjemand gesagt, wie unverschämt es eigentlich ist, wenn auf Bewerbungen gar nicht mehr oder nur aussagelos geantwortet wird. Mich hatte das gewundert, denn ich hatte mich längst damit abgefunden, sowohl im Verlags- wie im Personalwesen. Aber tatsächlich: eigentlich ist es unverschämt und respektlos.

Cool. Ich nehme nicht an, dass es Zufall ist, dass Manfreds Frau S. mit Nachnamen heißt 😉

Gut erkannt! ; )

Die Geschichte stellt genau den Spagat dar, den die Buchwelt machen muss: die freie Kunst durch leidenschaftliche Kunstschaffende auf der einen Seite und die Notwendigkeit des Überlebens eines Verlages auf der anderen.

Auch wenn ich darin "nur" meine Ängste, Zweifel und stillen Wünsche verarbeitet habe, habe ich damit dann ja doch ins Schwarze getroffen…

Aber tatsächlich: eigentlich ist es unverschämt und respektlos.

Ja, das ist es definitiv!

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