Haus aus Glas

Da ist sie wieder, diese miese Ungewissheit. Die personifizierte Unsicherheit. Auf ihrem hoch erhobenen Haupt trägt sie wie immer ihre zweifelhafte Krone. Gekleidet in ihrem Gewand aus Niedertracht und Verachtung schreitet sie auf mich zu mit einem verzerrten Grinsen und leicht ausgebreiteten Armen, die mich willkommen heißen sollen. Als wären wir die besten Freunde, nur weil wir uns ein Vierteljahrhundert sehr intensiv einen Kopf geteilt haben.

Und wie selbstverständlich stellt sie sich vor meine Tür aus Glas.
Leise klopft sie.
Lauter wird sie.
Doch nichts geschieht. Ich öffne nicht.
Sie sieht mich durch das ungewohnte Hindernis an, verliert so langsam ihr geheucheltes Grinsen. Dass dieses Konstrukt, in dem ich mich befinde, sie nicht reinlässt, passt ihr gar nicht. Das ging doch früher auch so leicht! Aber da war mein Wille auch nicht so stark, um mit bloßer Gedankenkraft dieses Haus aus Glas zu konstruieren. Früher war da einfach gar kein Schutz, keine Sicherheit vor ihr. Ich war ihr schutzlos ausgeliefert.
Irgendwie stolz sitze ich jetzt da. Ich bin überzeugt vom Positiven in mir und um mich und beobachte sie nur, halte ihrem hasserfüllten Blick und ihren eigentlich verunsichernden negativen Worten stand.
Dann dreht sie sich auf einmal um, versucht es radikal mit Sprengstoff, anderen Waffen, Gas, Naturgewalten,…sogar mit geballter Atomkraft. Doch das lasse ich erst recht nicht an mich ran. Immerhin ist das mein Kopf, meine Welt. Und das sind meine Gedanken!
Madame S. (wie ich sie früher immer genannt habe) beginnt mittlerweile richtig zu toben und wirft alles an Misstrauen gegen das Glas, was sie finden kann. Sie will vernichten, was allein mein Wille schafft. Dass all das keine Auswirkungen auf mich hat, macht sie immer rasender, brutaler, verzerrt ihre Gesichtszüge komplett.
Es kostet mich alle Anstrengung, doch ich halte stand.
Und eigentlich blicke ich mir durch das spiegelnde Glas ins Gesicht…
Denn ich weiß nur zu gut, dass trotz allem ein Teil von mir da draußen steht, der immer da sein wird. Wir werden uns aber niemals vertragen und sie wird auch niemals vollends verschwinden. Ich kann nur lernen mit ihrer Existenz umzugehen, sie klein zu halten, wie sie es mit mir immer gemacht hat.
Und ich weiß, dass ich die einzige bin, die durch einen winzigen Hauch von Krümel all das hier von innen zum Einsturz bringen kann. Aber ist das wirklich so schlimm? Habe ich vielleicht mittlerweile die Kraft, all dem da draußen stand zu halten? Ist der nächste Schritt der vor die Tür, mitten durch das Chaos und den Untergang? Hält mein Wille, meine Hoffnung, mein Glaube an etwas Wunderbares all dem stand?

Und ich schließe die Augen, lasse los, spüre plötzlich die Hitze der vernichtenden Energie, die sich bisher nur von außen gegen das kühle Glas gedrückt hat, das nun nicht mehr da ist. Meine Festung hat sich aufgelöst. Ich stehe auf, öffne die Augen und sehe doch nicht, was mich erwartet…

Posted by Journey

Kategorie: (Kurz)geschichten, Allgemein

Autor: Journey

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2 Kommentare        

Cooles Bild.
Ja, sie gehört wohl zu Dir, diese ominöse Madame S. Und ja, für immer. Sie wird sicher immer darum kämpfen, wer der Herr in Deinem Haus – äh, Kopf – ist.

Beim Lesen wurde ich zunächst etwas unzufrieden. Ich dachte mir: was, wenn das Glashaus irgendwann irgendwo bröckelt, wenn einzelne Scheiben zerbrechen? Ist das dann der Anfang vom Ende?
Und dann kam der Satz, auf den ich gehofft hatte: „Aber ist das wirklich so schlimm?“
Ja, womöglich ist es schon längst gar nicht mehr das Haus, das Dich schützt. Immerhin ist es ein Glashaus :-O
Dann musst Du es wohl selbst sein, der (schon längst) darüber wacht, wer über Dich bestimmt.
Ich finde, da kannst Du stolz drauf sein!
Du weißt, was Madame S. will, und Du weißt, was Du willst. Mehr brauchtst Du nicht.

Vielen Dank! Es freut mich, dass du das so siehst und ja, es ist wirklich nicht so schlimm. Früher hätte ich das vorher nicht so sehen können. Im Gegenteil…ich hätte ja erstens nicht mal ein Haus und wenn, dann wäre ich weiter drin geblieben und hätte dann vermutlich von Madame S. angestachelt irgendwann selbst mit Steinen geworfen. Dass ich mittlerweile weiß, was sie will und was ich will und dass das zwei verschiedene Dinge sind, ist jedenfalls eine klasse Grundlage für Zufriedenheit.

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